GLÜCK
Friedberg
2014, historische Ikonen der Stadt tauchen als überlebensgrosse Leuchtobjekte an Orten des städtischen Alltags auf und verschmelzen mit profanen ebenso wie mit sakralen Bauten.
2014, historische Ikonen der Stadt tauchen als überlebensgrosse Leuchtobjekte an Orten des städtischen Alltags auf und verschmelzen mit profanen ebenso wie mit sakralen Bauten.
Glück
Kunst für “750 Jahre Friedberg” – ich war nicht sicher, ob mir in diesem Kontext überhaupt etwas einfällt … und fuhr trotzdem hin. Trübes Winterwetter, abends kaum Menschen in den engen Gassen, und eine Gastwirtschaft, die “Köpfhäusl” hiess – der Ort schien gewöhnungsbedürftig. Ich bin durch Kirchen und Kneipen gezogen, habe Museum und Friedhof besichtigt, mit Bürgern geredet, die Friedberger Zeitung gelesen, Gartenzwerge und Heiligenfiguren photographiert, frustriert die Heimreise angetreten, zuhause die photographische Ausbeute gesichtet, mit Hunderten von Bildern lustlos meine Atelierwände tapeziert …. und plötzlich etwas entdeckt: Gesichter.
Marode Heiligenfiguren mit abplatzender Farbe und aufgesprungenem Holz, in ihrer groben Bemalung befremdlich und zugleich ergreifend. Da war eine verblüffende Menschlichkeit. Gesehen habe ich sie erst im Atelier. Beim nächsten Besuch in Friedberg habe ich sie genauer ins Visier meiner Kamera genommen, sie ausgeleuchtet, mich ihnen wie lebenden Menschen genähert, versucht, ihren Blick zu fixieren und mich manchmal erschreckt, wenn sie lebendig wurden.
Zuhause wieder mit ihnen die Wände bedeckt, so dass ich umgeben war von irren, netten, fordernden, suchenden, ängstlichen, blutenden, triumphierenden, demütigen, leidenden, weinenden, brüllenden, lächelnden Gesichtsausdrücken. Mein Atelier glich einem religiösen Gruselkabinett, das ich, wenn Besuch kam, verhängte. Es war mir peinlich. Also hatte es zumindest ein Potential, mit dem ich etwas anfangen konnte.
Bei Gesprächen mit den Friedberger Bürgern fiel mir auf, dass sie fast alle von religiösem Gedankengut geprägt sind, aber auf eine so selbstverständliche Weise, dass ihnen die Skurrilität dieser christlichen Ikonographie gar nicht mehr auffällt. Deshalb war es verlockend, ihnen die Ikonen ihrer Religion so zu präsentieren, dass die ihre Selbstverständlichkeit verlieren. Das hieß: sie mussten an Orten auftauchen, wo keiner damit rechnet; sie mussten so gross sein, dass der Betrachter allein schon durch den “falschen” Maßstab eine andere Perspektive auf die gewohnten Gesichter bekommt; und sie mussten leuchten, um ihre frappierende Ausstrahlung auf die Spitze zu treiben.
Wieder bin ich mit der Kamera durch die Stadt gelaufen, diesmal mit dem Ziel, Häuser zu finden, in die ich die leuchtenden Gesichter versenken konnte – wie “zwischen Blumen versenkte Kanonen” (Schumann über Chopins Noten). Von den ca. 20 Gebäuden – Privathäuser, städtische Gebäude und eine Kirche – blieben am Ende 8 übrig, bei denen der Eigentümer zustimmte, der Denkmalschutz nichts einzuwenden hatte und die baulichen Voraussetzungen zumindest brauchbar schienen.
An einem strahlenden Frühlingstag bin ich mit meinen Technikern in den schwankenden Korb eines Krans geklettert, um die Stellen in den Baukörpern – teilweise in 60 Metern Höhe – in Augenschein zu nehmen. Erst dann ließ sich eine halbwegs realistische Kalkulation erstellen. In einer eigens anberaumten Sitzung habe ich dem Stadtrat in Photomontagen meine Ideen und die Kosten präsentiert. Die Skepsis am Anfang war mit Händen zu greifen. Für die Dauer meiner Rede habe ich versucht, ein Friedberger zu sein, der seine Heiligen zu kennen meint. Am Ende haben sie geschlossen zugestimmt.
Das war der Startschuss. Bin wieder mit Kamera nach Friedberg gereist, habe mir all die sonderbaren Figuren aus den Depots und Kirchen holen lassen, sie dramatisch ausgeleuchtet und mich gewundert, dass die Mutter Gottes schielt. Dass Christus am Kreuz wie ein rachsüchtiger Verbrecher aussehen kann. Und dass die sterbende Afra je nach Ausleuchtung in despektierliche Verzückung gerät.
Unterdessen haben die Techniker für jede einzelne ausgesuchte Position einen Plan entwickelt, wie die Ideen umzusetzen sind, ohne die teilweise denkmalgeschützten Gemäuer irreversibel zu schädigen.
Lichtmodule in Formaten zwischen 1,5 und 9 qm wurden in Dresden gefertigt…
… und im gesamten Friedberger Stadtgebiet mit Spezialzargen in die Wände geschraubt oder geklemmt, was bereits die Neugier und Anteilnahme der Friedberger weckte: “Und für sowas geben die Politiker Geld aus!” Solange nur die blanke Technik zu sehen ist, überwiegt die Skepsis.
Bei diesen Montage-Terminen laufen nach monatelangen Vorbereitungen alle Stränge zusammen – Entwurf, Druck, Planung, Genehmigungsverfahren, Montage-Technik, Elektrik, Statik bis hin zur Organisation von Strassensperrungen und Kran – und ich komme mir manchmal vor wie ein Schäferhund, der die Herde durch ständiges Wadenbeissen zusammenhält. Trotzdem läuft manchmal auch etwas aus dem Ruder. In Friedberg z.B. hing das Bild der Madonna schon am Haken und verfing sich auf seinem Weg an die Spitze des Schlossturms an einem Mauervorsprung. Es dauerte nicht lange und die Feuerwehr half aus. Die Friedberger sind ziemlich hilfsbereite Leute. Und sie lieben ihre Heiligen.
Im Sommer wird es nochmal spannend. Da bespielen wir den Kirchturm – oben eine Jungfrau, unten das blutüberströmte Gesicht eines Gekreuzigten. Die Jungfrau soll in einer Fensteröffnung leuchten, hinter der sich die Glocke befindet. Bei der ersten Begehung des Turms von innen über wackelige Leitern wurde uns die Wucht der läutenden Glocke bewusst, als sie unerwartet losschlug und einen von uns fast aus dem Fenster gefegt hätte. Wir brauchen also eine Leucht-Konstruktion, die erstens schall- und luftdurchlässig ist und zweitens den Witterungsverhältnissen in 60 Metern Höhe standhält. Im Sommer wird der Turm für Sanierungsarbeiten eingerüstet. Das machen wir uns zunutze: Sobald das Gerüst steht, können die Techniker von aussen die ca. 5 Meter hohe Fensteröffnung exakt vermessen. Während der Turm saniert wird, wird in Dresden die Jungfrau in drei Teilen gebaut und pünktlich zum Abschluss der Arbeiten nach Friedberg transportiert. Beim Abbau des Gerüsts wird der Moment abgepasst, der das reibungslose Einsetzen der Bild-Konstruktion erlaubt, so dass nur ein leichter Gerüstaufzug zum Anheben der Teile gebraucht wird.
Das Kirchturm-Stück ist ein Abenteuer für alle Beteiligten, vom Pfarrer, der die Idee, nachdem ich sie ausführlich mit ihm besprochen habe, vor seiner Gemeide vertreten muss, bis zu den Konstrukteuren, die die Umsetzung der Idee für mich ausgetüftelt haben. Aber vor allem für mich – weil ich noch nie so nah am Himmel gearbeitet habe.