Galerie Wittenbrink 2014 / 2023

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Ein freudiges Wiedersehen gibt es zurzeit in der Münchener Galerie Wittenbrink mit den Portrait-Photographien von Elisabeth Brockmann aus ihrem Zyklus „Glück“.
Der ist 2014 entstanden, als ortsspezifische Installation großformatiger Leuchtkästen für die Stadt Friedberg bei Augsburg. Jetzt endlich hat sich die Künstlerin dazu durchringen können, eine handlichere Version einiger dieser Bilder zu produzieren schließlich waren sie ursprünglich bis zu sechs Meter hoch, was für die Anbringung im Glockenstuhl eines Kirchturms ein angemessenes Format ist, aber bei den meisten Menschen nur schlecht ins Wohnzimmer passt.

Das ändert natürlich ihren Charakter, genauso wie ihre Verwandlung von Leuchtkästen in „normale“ gerahmte Fotografien, hat aber den unschätzbaren Vorteil, daß man sie auch außerhalb von Friedberg wird betrachten können und vor allem: sie aus nächster Nähe studieren.

Was wir hier zu sehen bekommen, sind keine Porträts im herkömmlichen Sinne, sondern Gesichter von skulpturalen, geschnitzten und bemalten Heiligenfiguren aus Mittelalter und Barock.

Dafür hatte die Künstlerin seinerzeit die Kirchen und Museen Friedbergs durchstreift und festgehalten, was ihre Aufmerksamkeit besonders fesselte: Madonnen ohne Kind, Jesusknaben ohne Mutter, dornengekrönte Schmerzensmänner, Engel und Heilige.

Brockmanns Kunst besteht nun darin, die Gesichter – und nur sie- jeweils so zu fotografieren, daß wir uns von den Figuren unmittelbar berührt, ja angeblickt fühlen. Und sie uns zudem durch ihre Ausschnitthaftigkeit möglichst nahezubringen.

Die extreme Nahsicht macht uns zugleich auf die zum Teil zerkratzten und zersplitterten Oberflächen des Holzes und auf die verblichenen, abblätternden oder vollkommen zerstörten Teile der farbigen Fassung aufmerksam. Seltsamerweise empfindet man das weniger als eine restauratorischkunsthistorische Bestandsaufnahme, denn als wirkliche Verletzungen der abgebildeten Figuren, so präsent, gegenwärtig und menschlich scheinen sie uns.

Durch ihre vollständige Dekontextualisierung werden diese sakralen Bilder zwar profaniert, aber zugleich in einer Unmittelbarkeit als Gegenüber sichtbar, die sie (erst oder wieder) zu Zeitgenossen von uns macht.

Insofern ist dieses Wiedersehen höchst erfreulich, zeigt es doch, dass diese ausdrucksstarken Gesichter auch im kleineren Format nichts von ihrer enormen Faszination verlieren.

Aber noch ein anderes Déjà-Vu schleicht sich ins Bewusstsein des kunstsinnigen Betrachters: Da gab es doch gerade Ausstellungen zu sehen, die ein ganz ähnliches Thema verfolgten? Richtig, Gemälde von Karin Kneffel, die erst in Rom, dann in Düsseldorf präsentiert wurden (und demnächst in Kleve zu sehen sein werden).

Die renommierte Malerin zeigte dort großformatige Leinwände, auf denen sie Madonnenfiguren mit Kind, allesamt mittelalterliche, farbig gefasste Holzskulpturen, abmalte und in extremer Ausschnitthaftigkeit als Bildpaar mit jeweils einem Mutter- und einem Kinderbild präsentierte.

Dass Kneffels Doppelkopf-Strategie aufgegangen wäre, kann man nicht unbedingt behaupten, bei der Umsetzung vom bemalten Holz in bemalte Leinwand, von 3D zu 2D, und der damit einhergehenden Monumentalisierung wurden die Gesichter demonstrativ ausdruckslos- und vor allem, nun ja, etwas flach. Sowohl die motivische große Nähe zu Brockmanns Bildern als auch wesentliche Transformationsschritte, wie die Beschränkung auf die Gesichter, die Ausschnitthaftigkeit und die Maßstabsveränderung, würde man gerne für zufällig halten. Schließlich haben sich Künstler schon immer aus dem Fundus der Kunstgeschichte bedient, mal mehr, mal minder offensichtlich.

Wenn sich aber Malerinnen bei ihren Kolleginnen bedienen, ist das durchaus etwas anderes. Da hilft es auch nichts, wenn Kneffels Galerist vollmundig verkündet, ihre aktuellen Bilder seien „unprecedented“, also „beispiellos“ oder „noch nie dagewesen“. Das Gegenteil ist der Fall. Von Brockmanns „Glück“ gibt es einen Katalog, den auch Frau Kneffel nachweislich kennt.

Wir brauchen uns hier aber zum Glück nicht mit Reproduktionen oder zweiten Aufgüssen zu begnügen, wir können uns ganz direkt mit den sehr viel gelungeneren Umsetzungen mittelalterlicher Bildschnitzerei in zeitgenössische Kunst befassen:

Bei Elisabeth Brockmann gibt es jede Menge spannender bildlicher Details zu entdecken: Ein pausbäckiges Kindersicht, wie ein Stück ziemlich grober, naiver Malerei (nicht verstaubt, aber doch näher an einem Puppenkopf als an einer Modersohn-Becker). Die schon etwas feiner gezogenen, klugen, fast hochmütigen Gesichtszüge eines schmalen Frauengesichts mit sehr rot geschminkten Lippen. Das seltsam alterslose Lockenhaupt mit den rundlichen Gesichtsformen und einem deutlichen Hang zum Doppelkinn, dessen Augen so unterschiedlich blicken, dass sich nicht sagen lässt, schaut es erstaunt, mitleidig, traurig oder liebevoll?

Letztlich ist es auch hier, bei der bildkünstlerischen Variation eines Themas, wie in der Musik mit der Kunst des Coverns: Es gibt schlechte, überflüssige und langweilige Coverversionen, bei denen man sich nach kürzester Zeit heftig nach dem Original sehnt. Und es gibt die guten, die ihrem Vorbild gänzlich Neues abgewinnen oder Wesentliches hinzufügen. Dann schlägt das Nachahmen um in schöpferisches Tun und im besten Fall: in großes Glück.

Stephan Trescher

A joyful reunion is currently taking place at the Wittenbrink Gallery in Munich with the portrait photographs by Elisabeth Brockmann from her cycle „Glück“ („Happiness“).
This was created in 2014, as a site-specific installation of large-format light boxes for the city of Friedberg near Augsburg. Now, finally, the artist has been able to bring herself to produce a more manageable version of some of these images ¬ after all, they were originally up to six meters high, which is an appropriate format for mounting in the belfry of a church tower, but is a poor fit for most people’s living rooms.
This, of course, changes their character, as does their transformation from light boxes into „normal“ framed photographs, but it has the invaluable advantage that people outside Friedberg will be able to view them and, above all, study them up close.
What we see here are not portraits in the conventional sense, but faces of sculptural, carved and painted figures of saints from the Middle Ages and Baroque.
For this purpose, the artist had roamed the churches and museums of Friedberg at the time and recorded what particularly caught her attention: Madonnas without children, Jesus boys without mothers, thorn-crowned men of pain, angels and saints.
Brockmann’s art consists of photographing the faces – and only them – in such a way that we feel directly touched, even gazed upon by the figures. And to bring them as close to us as possible through their cropping.
The extreme close-up view also draws our attention to the partially scratched and splintered surfaces of the wood and to the faded, flaking or completely destroyed parts of the colored version. Strangely enough, one feels this less as a restorative art-historical inventory than as real injuries of the depicted figures, so present, contemporary and human they seem to us.
Through their complete decontextualization, these sacred images are profaned, but at the same time they become visible in an immediacy as a counterpart that makes them (only or again) contemporaries of us.
In this respect, this reunion is highly gratifying, as it shows that these expressive faces lose none of their enormous fascination even in a smaller format.
But another déjà vu creeps into the consciousness of the art-minded viewer: haven’t there just been exhibitions on view that pursued a very similar theme? That’s right, paintings by Karin Kneffel, which were first presented in Rome, then in Düsseldorf (and will soon be on view in Kleve).
There, the renowned painter showed large-format canvases on which she painted Madonna figures with child, all of them medieval, colorfully painted wooden sculptures, and presented them in extreme detail as a pair of pictures, each with a mother and a child image.
That Kneffel’s double-headed strategy would have worked cannot necessarily be said; in the conversion from painted wood to painted canvas, from 3D to 2D, and the accompanying monumentalization, the faces became demonstratively expressionless-and above all, well, somewhat flat.
Both the motivic close proximity to Brockmann’s paintings and essential transformation steps, such as the restriction to the faces, the cropping, and the change in scale, one would like to think are coincidental. After all, artists have always made use of the fund of art history, sometimes more, sometimes less obviously.
But when painters help themselves to their colleagues, that is something else. It doesn’t help when Kneffel’s gallery proclaims that her current paintings are „unprecedented“. The opposite is true. There is a catalog of Brockmann’s „Glück,“ which Ms. Kneffel is also demonstrably familiar with.
Fortunately, we do not have to content ourselves here with reproductions or stale repetitions; we can deal quite directly with the much more successful transpositions of medieval image carving into contemporary art:
In Elisabeth Brockmann’s work, there are plenty of exciting pictorial details to discover: a chubby-cheeked child’s face, like a piece of rather crude, naive painting (not dusty, but closer to a doll’s head than a Modersohn-Becker). The already somewhat finely drawn, clever, almost haughty features of a narrow woman’s face with very red painted lips. The strangely ageless head of curls with the roundish facial forms and a clear tendency to a double chin, whose eyes look so differently that it is impossible to say whether it looks astonished, pityingly, sadly or lovingly?

Ultimately, it’s the same here, with the artistic variation of a theme, as in music with the art of covering: there are bad, superfluous and boring cover versions, which make you long for the original after a very short time. And there are the good ones, which gain something completely new from their role model or add something essential. Then the imitation turns into creative action and in the best case: into great happiness.

Stephan Trescher