KEINE ENGEL, Leuchtkästen, verschiedene Größen, 2001-2003
ELISABETH BROCKMANN: „CORRAGIO!“
Exposition présentée par le Goethe-Institut
au Centre National de la Photographie, Paris
16 décembre 1998 – 4 janvier 1999
Andreas Steffens:
Viel Lärm um Nichts
Elisabeth Brockmann oder Der Austausch der Ikonen
Chez les peintres, le manque de renouvellement est plus visible encore que chez les ecrivains. Pour-quoi tel ou tel refait-il toujours la même exposition, en parlant, à chacque fois, d`oeuvres récentes“, au lieu d`annoncer carrément qu`il n`y aura aucune surprise? La seule excuse de la répétition en tout est l`aprofondissement, c`est-à-dire qu`on fait la même chose mais à un autre niveau. Là où ce phénomène n`existe pas il s`agit carrément d`une imposture plus ou moins consciente. E.M.Cioran, Cahiers, März, 1971
Die Kunst dieses Jahrhunderts kennzeichnet am meisten eine stetige Ausweitung dessen, was als kunstfähig gilt. Dieser Prozess ist so umfassend, dass er seinen Abschluss noch längst nicht gefunden zu haben scheint, um so weniger, als er inzwischen von der künstlerischen Praxis selbst auf Bereiche übergegriffen hat, die bisher von sich aus keinerlei Kunstambitio-nen aufwiesen.
Europas Kultur ist eine Kultur der Ikone. Sie leitet ihr Wirklichkeitsverständnis aus der bildlichen Verdichtung von Bedeutungen her. Im Bild bindet sie, was für ihre Angehöri-gen als Welt- und als Selbstverständnis verpflichtend sein soll. Wichtigste Kompetenz in ihr ist deshalb die symbolische, die Befähigung, Bilder als Träger der Bedeutungen zu entschlüs-seln, die die verbindlichen Regeln des Lebens enthalten.
Mit der spektakulären Verbreitung neuer Technologien der Bildgenerierung kommt dieser Untergrund kultureller Fundierung erneut zu Bewusstsein. Das Monopol der Sprache auf Bildung und Entschlüsselung von Bedeutung beginnt, als ein Irrtum beargwöhnt zu wer-den. Mit der Entdeckung der Metapher am Ende des Jahrhunderts, in dem die Bildproduktion revolutioniert wurde, gewinnt das sprachfixierte Bewusstsein Selbstdistanz.
In den notwendigen Prozess dieser Distanzierung treten Bildreflexionen ein, sofern sie sich künstlerischer Verfahren bedienen. Die Selbstreflexivität der modernen Kunst erfährt in der Konfrontation mit den postmodernen Medienrealitäten eine unvermutete Neubelebung als ästhetische Herausforderung zu gestaltendem Eingriff in die den Medien selbst eigene Rekur-sivität. Die Gefrässigkeit der Moderne in der Erweiterung ästhetischer Medien erhält in dem sich allmählich regenden Wunsch nach ästhetischer Einverleibung der Neuen Medien neue Stimulation.
Zu den künstlerischen Interventionen in diesem Feld, die einen beginnenden Übertritt aus der postmodernen Phase technologischer Faszination in eine nachpostmoderne einer tech-nisch ermöglichten neuen Virtuosität anzeigen, die vom Spiel der Manipulation der Bilder zu einer neuen ästhetischen Praxis ihrer Erfindung überzugehen strebt, gehört die Projektions-kunst von Elisabeth Brockmann.
Ihren künstlerischen Einsatz, den sie als Malerin begann, versteht sie als eine Arbeit an den Ikonen unserer Kultur, an den Bildern, in denen deren Selbstverständnis sich zu alge-meinen Bedeutungssignalen verdichtet, die wirken und ihre Denk- und Existenzanleitungen entfalten, ohne noch bewusst wahrgenommen werden zu müssen.
In den Strom einer allesergreifenden Ästhetisierung setzt sie gegenpolige Pfeiler, in-dem sie einer Strategie der ästhetischen Umbesetzung folgt: an einem identischen Ort der Wahrnehmung einen anderen, gegenteiligen Inhalt setzt.
Dieses Verfahren eines Austausches von Techniken der Bedeutungsinszenierung und von Bedeutungsgehalten entwickelte sie in ihrer Serie Pornographie (1994-1998) bisher am weitesten.
Mit deren Technik ist sie jener Hyperrealität des Bildes auf der Spur, in die Jean Baud-rillard das Komplott der Kunst münden sah: Als Reproduktionen bereits veröffentlichte ein-schlägige Photos werden ihrerseits photographiert; die so entstehenden schwarz-weiss-Dias werden daraufhin behandelt, als wären sie ein klassischer Malgrund, nämlich mit pigmentlo-sen Eiweisslasurfarben. So entsteht ein winziges „Original“, das erst als „Licht-Bild“ ganz zum Bild wird, in der Projektion als Dia, oder, entsprechend vergrössert, eingesetzt in Leuchtkästen verschiedener Grössen. Beide Präsentationsformen lassen die derart medial ge-staffelten Bilder zu Instrumenten von Raumgestaltungen werden.
In dieser Hybridbildung findet sich der Charakter reflektiert, den ihr Rohmaterial in unserer Kunst angenommen hat – so wenig die Pornographie noch etwas mit der Lust zu tun hat, die sich in ihr einmal verbergen musste, so wenig ist das Bild noch Bild, das aus dem Nichts ins Nichts her-gestellt wird. Si dans la pornographie ambiante s`est perdue l´illusion du désir, dans l`art contemporain s`est perdu le désir de l`illusion.*
Als Motiv für diese so umständlich anmutende mediale Staffelung der Bilderzeugung entscheidend ist die Erfahrung einer Flucht von Blicken, wie sie in dem seit langem zum Leitmotiv gewordenen Bild „High Fidelity“ (1989) erfasst ist: indem es den Blick, der sieht, wie gesehen wird, als den Blick zeigt, mit dem es selbst angeschaut wird, stellt es eine Ver-bindung her zwischen dem, der sieht und dem, was, oder der, gesehen wird. Es ist eine Wahr-nehmung der Wahrnehmung von Wahrnehmung, und damit eine Reflexion von Bildlichkeit auf dem Weg der Herstellung von Bildern – die Kunst holt die sie scheinbar in Frage stellen-den Technologien der Scheinproduktion ein, indem sie deren eigene Rekursivität überbietet.
Der überzeugendste Beweggrund einer solchen Selbstverwicklung in Komplexität scheint nur jenes Verlangen nach der Illusion sein zu können, die verschwindet, je raffinierter die in ihren Verafhren offen zu Tage liegenden Technologien ihrer Vortäuschung werden – so wie die Allgegenwart des Obszönen jedes lebendige Verlangen abtöten muss.
Die wie eine Malfläche bahandelte Photographie der Reproduktion eines pornographi-schen Bildes erweist sich als Achse, an der entlang der Austausch von Bedeutungsinszenie-rung und Bedeutungsgehalt stattfindet: das unkünstlerische Bild reiner Sexualität wird den Regeln einer strengen Ästhetik des reinen Bildes unterworfen.
In den so entstehenden Metabildern, die eine Brillianz aufweisen, die sich auf dem Grat zwischen Anziehung und Abstossung hält, verkehrt sich die in unserer visuellen Kultur omnipräsent gewordene sexuelle Anspielung in eine Inszenierung reiner Sexualität. Diese Inszenierung macht von den Elementen Gebrauch, die dem kulturellen „Normalfall“ unserer Wahrnehmung vorbehalten sind, in dem der unausweichliche sexuelle Appell Teil der Ver-führungsstrategien unterschwelliger Konsumerzwingung ist.
Im jüngsten Schritt, den sie hinein in ihr entstehendes Labyrinth der medialen Staffe-lung von Bildgewinnung tut, eignet Elisabeth Brockmann sich das Instrument zur Erzeugung von Virtualität schlechthin an: nun wird der Computer zum verdoppelten Pinselersatz, indem von dem Photo der als Ausgangssituation dienenden Bildvorlage – die jetzt anstelle einer Photoreproduktion eine Raum-Photographie ist -, nachdem es wie bisher schon direkt mit Farben in der beschriebenen Weise bemalt worden ist, ein weiteres Photo angefertigt wird, das mit Hilfe eines Graphikprogramms weiter bearbeitet wird, nachdem es digitalisiert wurde – am Ende steht ein reines virtuelles Bild einer Rauminstallation, die es nicht gibt, das mittels eines einfachen Dia-Projektors in einem gegebenen Raum projiziert werden kann.
Dieser – mit allseitiger Überforderung spielenden – Hyperkomplexität der Bildgene-rierung, aus der ironischwerweise ein in seiner blendenden Schönheit einfaches Pseudobild hervorgeht, kontrastiert der Umstand, dass dieses Bild keine Existenz hat: es gibt es lediglich in der reinen Potentialität seiner elektrischen Projektion, die sich mit einem einfachen Hand-griff aktualisieren und ebenso beenden lässt. Damit spiegelt es die beängstigende Ambivalenz jeder Macht, die sich in der Verfügung über Existenzen realisiert – ein Knopfdruck, und nichts ist gewesen.
Der Aufwand, dies zu demonstrieren, darf nicht gross, und wenn es sein muss, lär-mend genug sein.
Hier wird das Bildermachen zum Kommentar der Bildproduktion, und damit zu einem künstlerischen Einsatz. Aber statt einer Ästhetisierung der Technik zu verfallen – die als Reiz freilich unverkennbar involviert ist -, geschieht dies durch eine Indienstnahme der Technik für das ästhetische Konzept der Inszenierung einer Umbesetzung an den Orten unserer Kul-turikonen.
Die Medien werden zum Medium für die Kunst, von der überwiegend noch immer geglaubt wird, sie vor ihnen in Schutz nehmen zu müssen.
Der hier besetzte Ort ist ein Unort. Das in einem Staffelungsprozess hergestellte Bild hat keinerlei Realität mehr ausser derjenigen einer Computerdatei und seiner elektrischen Pro-jektion mittels eines Diaprojektors. Es existiert nur als eine Vortäuschung seiner selbst.
Solche Selbstvortäuschung des Bildes führt die Macht der Virtualitätsmaschine ad absurdum, deren Vortäuschungs-Potenz in jedem Moment in sich zusammenbrechen oder abrupt beendet werden kannn, indem ihnen die Energie entzogen wird, die sie ermöglicht.
Das auf ein sein auf Knopfdruck reduzierte Sein der Kunst kommentiert das vorläufig letzte Stadium ihrer kulturellen Diffusion, in dem sie in eine Diaspora gerät, in der ihre Exis-tenz am meisten auf Duldung angewiesen ist. So wurde sie harmlos wie die zum zynischen Fond der Werbung gemachte Pornographie.
Der Geduldete aber tut gut daran, griffbereite Strategien des Verschwindens zu entwi-ckeln, die es ihm ermöglichen, sich der Vertreibung zu entziehen, die droht, sobald die ihn Duldenden ihrer Grossmut oder ihres Interesses an ihm überdrüssig zu werden beginnen. Das reine virtuelle Bild, das das Sein der Kunst auf eine elektronische Wahrscheinlichkeit ver-mindert, bietet eine solche Möglichkeit jederzeitigen Rückzuges aus der Sphäre eines in Ab-weisung umschlagenden Gewährenlassens.
Als reine Wahrscheinlichkeit gewinnt die Kunst die Verfügung über ihre eigene Exis-tenz zurück, die ihr ihre Interessenten seit langem nicht mehr zugestehen, die sie ausschliess-lich ausserkünstlerischen Massstäben unterworfen haben und ihre Fortexistenz als Element in einem ausserkünstlerischen Kalkül von ihrer bedingungslosen Unterwerfung abhängig ma-chen.
Mit der hier erreichten Möglichkeit einer momentanen Selbstrücknehmbarkeit gewinnt sie eine Souveränität zurück, die sie jeder blossen Duldung enthebt: wann immer es angemes-sen oder erwünscht erscheint, ist ihre Präsenz wiederherstellbar, zu ihren eigenen Bedingun-gen.
Diese Freiheit teilt sie mit einem Bewusstsein menschlicher Existenz, für das deren wirksamste Entlastung darin besteht, jederzeit zu seiner Beendigung fähig zu sein. Nur eine Kunst, die nicht mehr darauf besteht, dass es sie weiter geben muss, wird eine Fortexistenz haben können.
Wie die Freiheit eines jeden einzelnen Menschen darin begründet liegt, nicht sein zu müssen, wenn er es nicht will, kann die Kunst, die seit der Moderne eine Kunst der Reflexion und des Bewusstseins ist, ihre Wirklichkeit nur dem Verzicht darauf verdanken, sein zu müssen.
© PD Dr. Andreas Steffens (GhK, Universität/GH Kassel)
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• Jean Baudrillard, Le complot de l`art (Libération, 20. Mai 1996), Morsure, Bd. II, Paris: Sens & Tonka, 1997, 7