Entwurf für das Forschungszentrum Jülich
An einem grauen Wintermorgen ohne Sonne betreten Sie Ihre Arbeitsstätte ….. und die Sonne geht auf. Im Luftraum des Foyers leuchtet strahlend blau ein Stück Himmel auf. Eingefasst in eine goldene Kugelhälfte schwebt es über Ihnen wie eine ausgestanzte Wetter-Kapriole.
Sie gehen ins Labor und vertiefen sich in die Abgründe des Lebens auf der Erde, folgen mikrobiologischen Strukturen und tauchen ein in Zahlen und Daten. In der Pause tauchen Sie wieder auf und gehen nach draussen ins Foyer. Ihr Blick hebt sich und Sie suchen den Himmel, er ist unmerklich weitergewandert. Wie ein Kontrapunkt zum introspektiven Forscher-Blick schwebt er lapidar durch den Luftraum.
Sie bemerken eine zweite Kugel-Hälfte, golden glühend bewegt sie sich kaum merklich in die entgegengesetzte Richtung. Sie schwebt davon. Auch das Licht scheint jetzt anders. Oder ist es Einbildung? Hat sich der Blick beim Arbeiten verändert? Sie sind eingetaucht in die mit bloßem Auge nicht erkennbaren Strukturen des Lebens, haben sich an diesen Blick gewöhnt und wundern sich über die neue Perspektive, eine leuchtende Sphäre anderer Dimension.
Sie atmen durch und gehen zwei Etagen höher, das tut dem Hirn und der Lunge gut. Oben angekommen fällt Ihr Blick in die andere Hälfte der Kugel – sie beherbergt das All. Das All? Blaue Punkte, Sterne, leuchtende Inseln strahlen im finsteren Weltall, der Blick sinkt in die Tiefe des Raums, aus dem die Metamorphose von toter Materie zum lebenden Organismus hervorging. Die Perspektive gleicht der Introspektion Ihrer Arbeit. Der Blick ins Kleinste ist der Blick in das Allergösste: unser Leben. Das Dasein öffnet sich. Die Pause ist zuende. Sie gehen zurück ins Labor und vertiefen sich in Ihre Arbeit. Formen, Zahlen, Daten, organische Gestalten leuchten am Bildschirm. Wie die Sterne des Alls, wie die Formationen des Himmels, wie das Licht der Sonne. Die Maßstäbe verschieben sich, was ist groß, was ist klein? Wer sind wir? Und wo?
Als die Menschheit mithilfe des Sputnik den allerersten Blick von aussen auf sich und ihren Planeten werfen konnte, muss sie gespürt haben, dass es zugleich der Blick in die Tiefe des Innersten ist, der Blick ins Unermessliche. Wir sind ein Stecknadelkopf im Universum. Und tragen das Universum in uns. Unbeschreiblich die Dimension. Und doch bleibt uns nichts als das penible Beschreiben. Das geduldige Suchen, bis sich die Teile zu einem Ganzen zusammenfügen.
Langsam, unmerklich tasten sich die beiden Hälften des geteilten Sputnik zueinander und schweben dann wieder voneinander weg. Bis sie sich einmal in der Woche zur Deckungsgleiche treffen, zu einem Ganzen zusammenfügen. Gleich dem kurzen Augenblick der Sonnenfinsternis entlassen sie jetzt nur noch Spuren von Licht, bevor sie wieder auseinanderdriften. Zuschauen kann man ihnen bei der Bewegung nicht, dazu sind sie zu langsam. Aber man sieht schon nach kurzer Zeit eine winzige Veränderung. Präzises Beobachten – hier wie im Labor.
Sie registrieren, wie sich die goldenen Reflexe der Kugel an den Wänden des Foyers entlangtasten und manchmal über einen Türrahmen streichen, während Sie gerade einen Kaffee trinken.
Sie erhaschen aus dem Labor, als sich die Tür öffnet, einen Blick ins Foyer und wundern sich, dass dort die Sonne scheint. Bis Ihnen wieder einfällt, dass es eine mit LEDs gespickte Halbkugel ist, die durch bedrucktes Gewebe ihre wechselnden Strahlen in die Halle schickt und sie in wechselnde Lichtstimmungen taucht.
Am Abend verlassen Sie das Gebäude und denken nicht mehr an den seltsamen Sputnik.
Doch am nächsten Morgen, wenn Sie das Foyer aufs Neue betreten, wundern Sie sich, wo der blaue Himmel geblieben ist – nicht der draussen, den es an diesem Tag vielleicht nicht gibt, sondern der im Foyer, der gestern noch in der Mitte des Luftraums schwebte. Er ist jetzt an das Ende des Foyers gewandert. Und er wird Sie an sein Gegenstück erinnern: die Nacht, als die der Blick von oben das All erscheinen liess.
Und weil wir Menschen mit einem phantastischen Hirn sind, können wir beides zusammen denken: Tag und Nacht. Und gigantische Größe im Stecknadelkopf. Nur manchmal kommt beides für einen flüchtigen Augenblick zusammen. Für den Augenblick der Erkenntnis.